Im Porträt

Peter Distelkamp-Franken

Lieber Peter, du lebst zum Teil in Berlin, zum Teil in Rheinland-Pfalz. Die Flutkatastrophe hast du aus nächster Nähe miterlebt. Wie war das für dich?
Ich halte mich im Wechsel in Berlin und Neuwied auf. Im Stadtteil Segendorf steht mein Elternhaus. Etwa 5 km vom Rhein entfernt. Die Gegend gilt als Vor-Westerwald. In der Nähe liegen Taunus, Westerwald, Hunsrück, Mittelrhein und Eifel mit den Flüssen Rhein, Mosel, Lahn, Nahe, Sieg und Ahr. Das Ahrtal hat es, wie alle wissen, katastrophal mit einer Hochwasserflut getroffen.

Nach tagelangem Regen schwemmte es Häuser, Autos und Brücken weg. In den Häusern stand das Wasser teilweise bis zum 2. Stock. Viele konnten sich nur noch auf das Dach retten. Menschen, die abends ins Bett gingen, besaßen am Morgen nur noch das, was sie auf dem Leib trugen.


Wir wohnen in einem Gebiet, das auch den Starkregen mitbekam, der aber abfließen oder einsickern konnte. Wir haben dann sofort Handtücher, Kleidung, Bettwäsche, Decken und Geld gespendet. Aus Erzählungen von Nachbarn, die vor Ort halfen, Feuerwehrleuten, die dort ihren Einsatz hatten und Freunden vor Ort bekamen wir einen kleinen Eindruck von dem Ausmaß der Katastrophe. Erzählungen, dass Menschen nicht mehr aus vollgelaufenen Räumen entfliehen konnten, Menschen auf Dächern oder einem Toten, der von einem Baum aufgefangen worden war. Ein Nachvollziehen der schrecklichen Ereignisse ist unmöglich. Viele Menschen werden traumatisiert zurückbleiben. Ich habe dann Mails an alle Bekannten, Freunde und Verwandten geschrieben, die ich kannte und bat um Geldspenden. In der Emmaus-Ölberg-Gemeinde wird für die Opfer weiter gesammelt. Bis 200 Euro reicht dem Finanzamt ein Kontoauszug als Nachweis für eine steuerliche Absetzbarkeit. Folgendes Spendenkonto haben wir ausgewählt: Flutkatastrophe in Deutschland: Jetzt spenden und helfen - Diakonie Katastrophenhilfe (diakonie-katastrophenhilfe.de)   oder Evangelische Bank
IBAN: DE68520604100000502502, BIC: GENODEF1EK1

Was beschäftigt dich jetzt?
Ich überlege, was in einem Jahr sein wird. Gibt es dann immer noch die hohe Bereitschaft zur Hilfe oder haben andere Katastrophen diese schon wieder überlagert? Es wird viele Jahre dauern, um einen Neuanfang für Alle hinzubekommen. Wie kann man dann weiterhelfen?

Wie bist du damals überhaupt nach Berlin gekommen?
Ich bin Jahrgang 1950, besuchte die Volksschule 8 Jahre und wurde nach zwei Jahren Konfirmandenunterricht mit 14 Jahren konfirmiert. In dem Monat, in dem ich 14 Jahre alt wurde, begann ich in der Lehrwerkstatt eines großen Werkes eine Lehre als Starkstromelektriker. Nach dreieinhalb Jahren Lehrzeit absolvierte ich die Prüfung und war arbeitslos. Üblicherweise wurde man in die Bundeswehr als Rekrut eingezogen. Die Erfassung erfolgte ab dem 18. Lebensjahr. Da die Arbeitgeber gezwungen waren, Mitarbeiter die eingezogen wurden, auch nach der Bundeswehr wieder zu beschäftigen, hatte ich keine Chance. Die Arbeitgeber stellten nur selten vor der Einziehung der Bundeswehr Leute ein. Nach vielen erfolglosen Versuchen, eine Stelle zu finden, bekam ich durch den Sohn eines Arbeitskollegen meines Vaters in Berlin einen Arbeitsplatz angeboten. Dieser war schon einige Jahre hier. Ich zögerte nicht und wechselte meinen Wohnsitz am 31. Dezember vom Rheinland nach Berlin. Das hatte auch den Vorteil, dass ich den Dienst an der Waffe nicht ableisten musste durch den Sonderstatus hier. Meine Entscheidung habe ich bisher nicht bereut.

Wie ging es dann weiter?
Nach der Handwerkslehre habe ich diesem Beruf erst einmal gearbeitet. Lebte ja jetzt in der Großstadt, in der ich mich erst einmal orientieren musste. Im Laufe meines Lebens habe ich weiterführende Schulen besucht, auf kleiner Matrikel Soziologie studiert, und kam durch glückliche Umstände in Kontakt mit dem Pflegeberuf. Der hat mich elektrisiert. Hier fand ich, was ich suchte, ohne vorher zu wissen, was ich eigentlich suchte. Aber mit dem alten Beruf war ich nie zufrieden und ausgelastet. Hier hatte ich mit Menschen zu tun, die Hilfe benötigten, hier war ich wichtig für Individuen. Ich gab viel und bekam viel zurück im zwischenmenschlichem Miteinander. Über eine Ausbildung als Pflegehelfer mit staatlichem Zertifikat, einer angeschlossenen dreijährigen Ausbildung als Krankenpfleger, Stationspfleger, Weiterbildungen, Abteilungspfleger, sechs Jahre Hausmann und begleitend ein Fernstudium Evangelische Erwachsenenbildung, Pflegedienstleiter beendete ich meine berufliche Laufbahn als Leiter einer Einrichtung in Köpenick. Hier lebten pflegebedürftige Menschen in Hausgemeinschaften, Behinderte in einer Wohngemeinschaft, es gab Betreutes Wohnen, eine Sozialstation und ein Restaurant. Und das Schönste war: In den letzten zehn Berufsjahren konnte ich maßgeblich die Entstehung dieser Einrichtung planen, eine Konzeption entwerfen, den Bau begleiten und hatte noch 2 Berufsjahre, um sie wirtschaftlich auf die Beine zu stellen. Im letzten Berufsjahr bereitete ich mich mental schon auf meinen „Ruhestand“ vor. Das war gut so, um nicht in ein seelisches Ungleichgewicht zu kommen. Seit 2016 arbeite ich weiterhin als Gemeindekirchenratsmitglied, bekümmere mich um Bauangelegenheiten, um die Fusion mit St. Thomas und Kreuzberg-Mitte, bin in der Synode und dem Bauausschuss, nehme an Dienstbesprechungen teil und renoviere mein Elternhaus am Rhein.

Was macht dich glücklich?
Im Frühling durch die mit frischem Maigrün bewaldeten Rhein- oder Westerwaldhöhen mit meinem Pedilec zu fahren und wenn ich weiß, dass es meinen drei Kindern gut geht.

Gibt es eine Lieblingsstelle in der Bibel?
Matthäus 6,34: „Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.“ Das ist der Trauspruch, den ich mit Ulla Franken zu unserer Hochzeit ausgesucht hatte. Es fiel mir nicht leicht danach zu leben, gab aber eine gute Orientierung. Wir wussten damals nicht, wie konkret uns diese Verse begleiten und aufdrängen würden. Ulla war Pfarrerin in der Emmaus-Gemeinde und wir lebten mit unseren Kindern in der Dienstwohnung des Emmaus-Kirchturms. 1997 wurde bei Ulla ein bösartiger Brustkrebs festgestellt. Juni 2000 verstarb sie am Pfingstsamstag. Dazwischen lag eine Zeit, in der wir die Plage des aktuellen Tages bewältigten. Hätten wir immer um die morgigen Tage gesorgt, wäre Vieles nicht zu ertragen und bewältigen gewesen. Und ich hätte nie ahnen können, dass mir ein weiteres gutes Leben in einer neuen Beziehung, die Begleitung meiner Kinder zu tüchtigen selbstständigen Menschen und die positive Auseinandersetzung in einer Patchwork Familie gelingen würden und der liebe Gott, mit dem ich hadern durfte, seine Hand darüber hielt.

Dein liebstes Gesangbuchlied?
Ich bin sehr unmusikalisch und merke mir kaum Lieder. Das bedaure ich oft. Die Lieder von Paul Gerhardt sind sehr eindrucksvoll. Zum Beispiel: Geh aus mein Herz und suche Freud; Nun ruhen alle Wälder; Ich singe Dir mit Herz und Mund; Du meine Seele singe.

Was verbindet dich mit unserer Kirchengemeinde in Kreuzberg?
Ich bin 2015 in das Wohnhaus in der Graefestraße gezogen, bin aber weiterhin Gemeindeglied von Emmaus-Ölberg geblieben. Es ergaben sich zur Gemeinde dann Kontakte über die Laudes in der Melanchthon-Kirche. Dann machte ich mit meiner Frau eine Freizeit in Hirschluch mit und wir lernten die Pfarrer, andere Mitarbeiter und Gemeindemitglieder von dort kennen. Meine Frau singt bei Kantor Ostendorf im Chor, und ich beteilige mich an den Fusionsvorbereitungen.

Wie schaust du auf die Zukunft allgemein und in Bezug auf die evangelische Kirche in Kreuzberg?
Die Welt bleibt nicht stehen. Und so wie wir im Großen nicht allein die globalen Probleme bewältigen können, so ist dies auch im Kleinen. Die Anforderungen, die an uns gestellt werden, können nur zusammen erfüllt werden. So ist die Fusion ein erster Schritt, dem weitere folgen müssen. Zum Beispiel die Frage der Finanzierung zur Erhaltung unserer Immobilien, die Verwertung der Immobilien, neue Konzepte erstellen. Was kann Gemeinde sein? Wie können knappe Personalressourcen sinnvoll eingesetzt werden? Wie können wir Wege finden, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen? Wie arbeiten wir Fehler aus der Vergangenheit auf? Benötigen wir eine andere Gemeindestruktur und -organisation? Und, und, und. Viel Arbeit, viel Engagement, viel konstruktiver Streit ist notwendig. Vertrauen wir den neuen Wegen!

Lieber Peter, ich danke dir für das Gespräch und wünsche dir und deiner Familie alles Gute und Gottes Segen!
Mit Peter Distelkamp-Franken sprach Pfarrer Christoph Heil