Im Porträt

Thomas Pfennig

Lieber Thomas, Du bist kürzlich in die Evangelische Kirche eingetreten. Was hat Dich dazu bewogen?
Die Evangelische Kirche hat ihre Wurzeln in Wittenberg. Diese schöne Stadt liegt nicht nur geographisch um die Ecke. Sie hat auch maßgeblich unser Kulturerbe von Hinterfragen, Gestalten und Nächstenliebe geprägt. Als Kirchenmitglied ein Teil dieses Erbes zu sein, finde ich toll. Aufgewachsen war ich in einem ökumenisch geprägten Umfeld der katholischen Kirche Bremerhavens. Im Zuge meines Umzugs nach Berlin war es mal mein Wunsch, auch die Konfession zu wechseln. Das war aber eher eine Bauchentscheidung, nichts Großes.

Wittenberg als Kulturerbe, das klingt sehr weltlich. Liegt die Stadt einem Christen nicht auch religiös nahe?
Heute glaube ich nicht mehr an Gott...

...warum bist Du dann nicht ganz ausgetreten? Du könntest Steuern sparen.
Austreten ist keine Option. Die Kirchen sind ein ganz wichtiger Pfeiler unserer Gesellschaft. Schau, wir leben im „Land der Dichter und Denker“, aber an den staatlichen Schulen wird kaum Philosophie unterrichtet. Ein Skandal, wie ich finde. Das wäre gleich ab der Grundschule nötig. Und da kommt Kirche ins Spiel: In den Gottesdiensten, den kirchlichen Schulen, der Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, den Familienfreizeiten geht es doch auch und gerade ums Nachdenken über Gott und die Welt und über sich selbst. Darum, Dinge in Frage zu stellen. Ums Philosophieren also.

Das klingt sehr abstrakt. Kannst Du ein Beispiel nennen?
Ein Kinderlied aus meiner Herkunftsgemeinde! Dort hieß es: „Der Herr wird nicht fragen: Was hast du alles besessen? Was hast du Gescheites gelernt? Was hast du Schönes getragen? – Seine Frage wird lauten: Wen hast du geschätzt? Wem hast Du gedient? Wen hast Du umarmt?“ So haben wir schon in der Kindermesse gesungen, dass es darauf ankommt, Fragen zu stellen. Und beim Blättern in Deinem „Boten“ lese ich von Familiengottesdiensten und Pfadfindern, vom Singekreis und Theater, von der Arbeit der Gemeindepädagogin - da wird es gewiss auch um Nachdenken und Nächstenliebe gehen. Da profitiere auch ich davon, dass Du mit Deiner Gemeinde den Wittenberger Geist in meinem gesellschaftlichen Umfeld weiterträgst. Dafür zahle ich sehr gerne Steuern!

Kirche ist für Dich also mehr als ein Ort des Glaubens?
Ja, Kirche erlebe ich als ein Forum ohne Grenzen: für Otto Normalverbraucher ebenso wie für Geflüchtete, Obdachlose, Einsame, Andersdenkende, Alte... sogar für mich! Kirche bietet so viele Treffpunkte: Bildungs- und Ferienhäuser, Pfarrzentren, Diakoniestationen, auch die kirchlichen Schulen, Krankenhäuser, all die karitativen Einrichtungen... Dort ebnet sie jedem einen Weg, aus seiner Echo-Bubble herauszukommen. So wird Kirche zum Korrektiv für das eigene Denken und Verhalten. Da habe ich doch Lust, hinzugehen!

Kirche auch als Ort des sozialen Handelns..?
Vielleicht insofern, als jeder ein Wohltäter für sich selber ist. Die Begegnung mit Geflüchteten kann mich mehr bereichern als umgekehrt! Das ist für mich das Wichtigste an der Botschaft und Lebenspraxis von Jesus: Wer seinen Nächsten bedingungslos liebt, tut zuallererst mal sich selbst etwas Gutes. Im Umkehrschluss übersetzt Kirche dies in große Worte: „Hass schadet der Seele.“ Ein sehr egoistischer - und deshalb attraktiver! - Ansatz. Für Selbstgefälligkeit und Pharisäertum bleibt da kein Raum.

Als ehemaliger Katholik hast Du vielleicht eine Idee für die Wiedervereinigung der Kirchen?


Oh schade, danach wollte ich Dich gerade fragen. Hm, leider nein. Ich glaube darauf zu warten, dass die Katholische Kirche ihr Amtsverständnis ändert und die Evangelischen Kirchen sich auf einen Papst als Repräsentanten einigen, bringt nichts. Hm. Warum nicht auf Gemeindeebene einfach mal machen? Beide Kirchen stehen vor denselben gewaltigen Herausforderungen. Da ist doch das bisherige Modell von Parallel-Gemeinden um so trostloser. Vermutlich müssen wir vollkommen „Out of the Box“ denken. Warum nicht unsere evangelische mit der katholischen Nachbargemeinde zusammenwachsen lassen? Also ein gemeinsames Pfarrheim und Pfarrhaus, jeden Sonntag einen ökumenischen Gottesdienst, ein gemeinsames Kirchengebäude, vereinigte Aktivitäten... Warum nicht ökumenische Sternsinger*innen?! Wir hätten dann nicht eine konfessionsverschiedene, sondern eine konfessionsverbindende Gemeinde. Die Bedenkenträger hüben wie drüben müssten wir natürlich aushalten ... beziehungsweise die uns! Ich besuchte mal eine Evangelische Messe von Pfarrer Schmidt, da erkannte ich kaum einen Unterschied zur katholischen Messe.

Lass mich auf Deine Glaubszeit zu sprechen kommen: Gab es eine Bibelstelle, die Dir besonders wichtig war?
Ja und die ist es ungebrochen! Aus der Frohen Botschaft stammen nach wie vor die wichtigsten Fundamente meines Lebens. Lieblingsevangelium: Die Emmaus-Jünger. Zwei Menschen sprechen beim Wandern einen Fremden an. Sie merken, dass das Feuer der Gemeinschaft in ihnen brennt. Und voller Freude verbringen sie eine Nacht unter einem Dach und teilen das Brot. Als Jugendlicher hatte ich dazu mal ein tolles Gespräch mit einem Dominikanerpater anhand eines Holzschnitts von Thomas Zacharias (S. 25). Dieses Evangelium war es wohl, das mich heute zu einem fröhlichen Couchsurfing-Gastgeber gemacht hat. Da haben wir einen roten Faden von Emmaus in die moderne Lebenswelt! Das zeigt: Die Frohe Botschaft ist zeitlos – und nicht an den Glauben gebunden...

...ich gewinne den Eindruck, dass Du sehr wohl noch gläubig bist! ... Dein erster Eindruck von unserer Gemeinde?
Von Deiner Kontaktaufnahme und Deinem Gesprächsinteresse war und bin ich begeistert. Klasse fand ich die „Pfarrküche“. Dieses Konzept kannte ich noch nicht. Ein toller Raum der Begegnung, nicht zu öffentlich, nicht zu privat, genau zum Wohlfühlen!

Vielleicht erzählst Du noch etwas aus Deinem normalen Leben?


Klar, als Bremerhavener Jung’ hatte ich mir meinen Jugendtraum erfüllt, zur See zu fahren. Zunächst als Decksjunge auf einem Frachter, später als Reiseleiter auf Kreuzfahrtschiffen. Von dort bin ich unverhofft in eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gepurzelt. Heute darf ich für die Bundesregierung arbeiten. Ich versuche gerade, eher minimalistisch zu leben. Das macht frei. In der Freizeit gehe ich raus, mache kleine und große Rad- und Kanutouren, unternehme viel mit fremdsprachigen Gruppen, besuche Museen und Theater und wander regelmäßig in Brandenburg und auf Reisen. Wo immer ich bin, suche ich die Begegnung mit Menschen. Die sesshafte Lebensweise bleibt mir fremd. Über meinem Leben steht wohl die Überschrift „Unterwegs Sein“. Womit wir wieder bei den Emmaus-Jüngern wären.

Mit Thomas Pfennig sprach Pfarrer Christoph Heil