23/05/2025 0 Kommentare
„Die macht jetzt was mit Trauer“ – Ein neues Arbeitsfeld in unserer Gemeinde
„Die macht jetzt was mit Trauer“ – Ein neues Arbeitsfeld in unserer Gemeinde
# BOTIN_NEWS

„Die macht jetzt was mit Trauer“ – Ein neues Arbeitsfeld in unserer Gemeinde
Es gab einige Irritationen darüber, warum sich das Redaktionsteam ausgerechnet für die Sommerausgabe dieser Zeitschrift das Thema Trauer ausgesucht hat. „Trauer – das Thema gehört doch in den November, in die Zeit rund um den Ewigkeitssonntag.“ Und an sich stimmt das ja auch. Der Sommer ist die leichte Zeit. Doch die Trauer hält sich nicht an Jahreszeiten oder den Kirchenkalender. Menschen trauern immer und überall, auch da, wo wir es nicht sehen oder sehen wollen.
Seit September 24 mache ich eine Ausbildung zur Trauerbegleiterin. Und ich bekomme dazu viele schöne, aber auch viele erstaunte Reaktionen. „Rebecca, ich mache mir Sorgen um dich“, sagte meine Schwiegermutter neulich zu mir am Telefon. „Geht es dir gut, wenn du dich die ganze Zeit mit so traurigen Dingen beschäftigst?“ Oder ein Gemeindemitglied, das zu mir sagte: „Trauerarbeit? Du bist doch so jung, warum beschäftigst du dich mit solchen Dingen?“
„Ja, mir geht es gut damit“, habe ich beiden daraufhin geantwortet. Mir ging es sogar selten so gut wie jetzt. Es ist ein großes Geschenk, dass ich mich mit all diesen Fragen nach Tod und Sterben und Trauer beschäftigen kann; dass ich Trauernde begleiten und diesem Thema Stück für Stück den Schrecken nehmen darf. Denn natürlich wollen wir alle nicht traurig sein und schon gar nicht wollen wir jemanden verlieren, der uns wichtig ist. Aber es wird früher oder später passieren oder es ist uns bereits passiert und da ist es doch wichtig, dass wir Wege finden damit umzugehen. Dass wir uns gegenseitig liebevoll begleiten und das Leben trotz dem Tod, der nun mal dazu gehört, als lebenswert erkennen können.

Trauer ist eine Folgeerscheinung von Verlust. Wir sind traurig, weil wir einen wichtigen Menschen oder ein Tier verloren haben, weil wir ein Ziel nicht erreichen konnten oder weil uns der Grund unseres Daseins abhandengekommen ist. Trauer wird mit bestimmten Gefühlswelten in Verbindung gebracht: mit Weinen und dem seelischen Zustand der Verzweiflung. Aber Weinen und Traurig-Sein ist nicht die einzige Gefühlsäußerung. Häufig sehen wir Angst, Ärger und Wut. In der Trauerbegleitung gehen wir diesen und anderen Gefühlen auf die Spur und entwickeln Rituale, die dem, was man nicht so gut in Worte fassen kann, eine Form geben. Und die im besten Falle wieder Sinn und Selbstwirksamkeit ins Leben bringen und so den Heilungsprozess anschubsen. Denn genau darum geht es in der Trauerbegleitung: neben der emotionalen Arbeit an der Trauer auch den Blick auf neue Lebensziele zu richten. Ziel ist es, die Balance zwischen dem Gestern und dem Morgen zu finden. Und vielleicht auch zu verstehen, dass Trauer nie ganz aufhört (denn Trauer ist auch Liebe), sondern nur anders wird. Und dass sie im Leben auch immer wieder anklopfen kann. Manchmal ganz unerwartet. Wir alle haben Trauermonster, jeder mindestens eins. Trauermonster sind Wesen, die uns an unsere Verlusterfahrungen erinnern und oft ganz unangemeldet auftauchen, auch und gerade dann, wenn wir sie am wenigsten gebrauchen können. Der Trick ist nicht, sie loszuwerden, sondern mit ihnen zu kooperieren und sie richtig gut kennenzulernen. Denn dann weiß man auch, wohin man sie guten Gewissens mitnehmen kann und an welchen Tagen man sie darum bittet, doch lieber zuhause zu bleiben.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Trauerarbeit ist die Arbeit mit Erinnerungen. Diese Arbeit sollte nicht in der ersten akuten Trauerphase geschehen und auch noch nicht in der Zeit danach, in der sich die Gefühle, die vorher noch zum Selbstschutz und „Funktionieren“ ein wenig in Schach gehalten wurden, nach und nach ans Licht graben (das passiert oft, nachdem der/die Verstorbene beerdigt wurde). Wenn man diese Gefühlsebene durchschritten hat, geht es irgendwann um die Frage, wie eine Zukunft ohne den/die andere/n aussehen kann; ob ein gutes Leben nach diesem Verlust überhaupt noch möglich ist. In dieser Phase fällt immer noch sehr schwer, den Verlust wirklich zu akzeptieren. Bewusst und unterbewusst sucht der Verstand in der Vergangenheit nach einer Lösung, denn dort ist es vertraut. Und hier trifft er auf die Erinnerungen. In der Erinnerungsarbeit werden wichtige Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Vergangenheit für die Gegenwart fruchtbar gemacht. Was wir mit den Verstorbenen erlebt oder was wir von ihnen gelernt haben, kann in einem Erinnerungsstück sicht- und greifbar gemacht werden. Trauer wird leichter, wenn das ganze gemeinsam erlebte Leben größer wird als der Verlust. Und ein Erinnerungsstück kann von diesem Leben erzählen.
Wenn es um Trauer geht, dann kann es sinnvoll sein, sich mal in der eigenen Familie umzuschauen, wie dort eigentlich mit diesem Thema umgegangen wird und wurde. Die familiäre Trauerkultur wird durch viele Dinge geprägt: Gesellschaft, Spiritualität, negative und positive Glaubenssätze, Rituale etc. Sie entsteht nicht plötzlich über Nacht, sondern über mindestens drei Generationen voller Liebe, Tod und Verluste. Wenn also, wie ich zu Beginn vermutet habe, viele Menschen in unserer Gesellschaft das Thema Trauer und Tod lieber weit vor sich herschieben, kann das durchaus an der eigenen familiären Trauerkultur liegen. Diese Kultur kann man nicht immer auf Anhieb erkennen und beschreiben, vor allem wenn sie viel mit Verdrängen zu tun hat. Sie hat vielmehr mit Bauchgefühl zu tun, versteckt sich oft hinter halblaut gesagten Bemerkungen und Sinnsprüchen („Die Arme, sie wird ihres Lebens nicht mehr froh“ z.B.). Es lohnt sich also mal zwischen den Zeilen zu lesen und genau hinzuhören. Und unbewusst gelernte negative Glaubenssätze für sich vielleicht auch mal umzukehren.
Ich habe zum Abschluss eine kleine Übung für dich.
Schreibe ein Elfchen über die Trauerkultur deiner Mutter/deines Vaters/deiner Familie.
Ein Elfchen ist ein Gedicht, das sich nicht reimt. Es besteht aus elf Wörtern und 5 Zeilen. Man benutzt keine Satzzeichen, keine Wortwiederholungen und keinen Reim.
1. Zeile: Ein Wort …………………………………………………………………
2. Zeile: Zwei Wörter …………………………………………………………….
3. Zeile: Drei Wörter ………………………………………………………………
4. Zeile: Vier Wörter ………………………………………………………………
5. Zeile: Ein Wort …………………………………………………………………….
Sollten bei dir/bei Ihnen Fragen aufgekommen sein oder Gefühle wie Trauer, möchtest du/möchten Sie einmal über einen Verlust mit mir ins Gespräch kommen, bin ich ansprechbar über die bekannten Wege.
Eure/Ihre Pfarrerin Rebecca Marquardt-Groba
Kommentare