16/02/2025 0 Kommentare
Demokratie und Kirche
Demokratie und Kirche
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Demokratie und Kirche
Was sagt die Bibel zur Demokratie und wie steht die Kirche zum demokratischen Prinzip?
Pfarrer Christoph Heil
Im Jahr 2022 hielt der Soziologe Hartmut Rosa einen Vortrag beim Würzburger Diozösanempfang mit dem Titel „Demokratie braucht Religion. Über ein eigentümliches Resonanzverhältnis“. Der Vortrag wurde in einem kleinen Büchlein veröffentlicht, mit einem Vorwort von Gregor Gysi. Hartmut Rosa schreibt, dass Religion gesellschaftliche Resonanzräume schafft, in denen grundlegende Werte, Sinnfragen und moralische Orientierung diskutiert werden können. Religion spiele daher eine wichtige Rolle für eine Demokratie. Als evangelischer Christ beschreibt Hartmut Rosa persönliche Erfahrungen, wie Kirche zu Verständigung, auch über soziale Unterschiede und kulturelle Grenzen hinweg, beitragen kann, und wie dies wiederum die demokratische Kultur stärkt. Demokratie und Religion funktionieren beide nur, so der Soziologe, wenn wir eine Haltung einnehmen, in der wir uns vom anderen berühren lassen. Der Jenaer Professor sieht Religion daher nicht als überholtes Konzept, sondern als potentielle Ressource für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Förderung eines offenen, pluralistischen Diskurses. Das Buch hat im vergangenen Jahr viel Aufmerksamkeit bekommen. Im Internet gibt es vom Autor dazu auch kurze Videos auf YouTube.
Wie demokratisch ist die evangelische Kirche?
Tatsächlich hat die evangelische Kirche heute ein positives Verhältnis zur Demokratie. Das zeigt ihre Verfassung: Oberstes Leitungsgremium der evangelischen Kirche ist das Kirchenparlament (Synode). Es gibt die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die Landessynoden und die Kreissynoden. Ihre gewählten Mitglieder sind überwiegend Nicht-Ordinierte (Laien). Der kleinere Teil besteht aus gewählten Pfarrerinnen und Pfarrern (Ordinierte). Alle diese gewählten Mitglieder können Vorschläge einbringen, Veränderungsprozesse anstoßen. Sie sind in ihrem Abstimmungsverhalten frei und nicht an Weisungen zum Beispiel von Bischöfinnen oder Bischöfen gebunden. Auch unsere Evangelische Kirchengemeinde Kreuzberg wird nicht allein durch das Pfarrteam geleitet, sondern durch den Gemeindekirchenrat. Seine Mitglieder werden auf sechs Jahre gewählt – das nächste Mal in Berlin wieder am 30. November. Jedes Mitglied kann also in der evangelischen Kirche mitreden. Die Gemeinschaft der Gläubigen bestimmt in der evangelischen Kirche über die Gestaltung der Kirche mit. Insofern folgt die evangelische Kirche heute dem demokratischen Prinzip.
Demokratie-kritische Einstellung bis in die 1970er Jahre
Die positive Einstellung der evangelischen Kirche zur Demokratie ist aber relativ jung. In Deutschland hat es lange gedauert, bis sich die Kirche mit der Demokratie anfreunden konnte. Bis in die 1950er Jahre lehnte sie Konzepte wie Demokratie und Menschenrechte ab. Bis 1945 war in der Deutschen Evangelischen Reichskirche DEK („Deutsche Christen“) der Christ zu Gehorsam gegenüber der Obrigkeit verpflichtet. Die evangelische innerkirchliche Oppositionsbewegung („Bekennende Kirche“) wandte sich gegen Versuche der Gleichschaltung („Kirchenkampf“), aber erfolglos. Im Ausland gab es wenige demokratie-freundliche Ausnahmen in Minderheiten-Kirchen wie den Mennoniten und Quäkerinnen in England und Amerika, oder die französischen Hugenotten am Anfang der Französischen Revolution.
Sinneswandel in den 1960er Jahren
Erst Mitte der 1960er Jahre öffnete sich allmählich der enge, national orientierte Blickwinkel des deutschen Protestantismus. Dabei spielten die Evangelischen Kirchentage eine wichtige Rolle. Während der Ökumenische Rat der Kirchen in Genf schon 1948 an der Formulierung der Allgemeinen Menschenrechtserklärung mitwirkte, rang sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) tatsächlich erst 1985 in ihrer „Demokratiedenkschrift“ zu einer positiven Bewertung der Demokratie durch. Voraussetzung dafür war eine theologische Einsicht, die uns Christinnen und Christen heute als selbstverständlich erscheint: nämlich, dass Selbstbestimmung etwas Gutes ist, und dass der Mensch in der Lage ist, Gutes zu schaffen. Es kam also im deutschen Protestantismus erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem Wandel im christlichen Menschenbild. Jetzt erkannte man, dass ein „Mensch mit Würde“ nicht von vornherein eine Gefahr darstellt, sondern eine Bereicherung, auch für den Staat. Man gelangte zur Auffassung: Ein Mensch mit Würde will Gemeinwesen gestalten und übernimmt Verantwortung.
In der DDR verlief diese Entwicklung etwas anders, denn hier stand die Kirche gezwungenermaßen von Anfang an in Opposition zur staatlichen Macht. In der DDR war die Kirche der einzige demokratische Sektor. Bekanntlich spielte die Kirche daher eine tragende Rolle bei der Friedlichen Revolution von 1989. Sie bot den nötigen „Resonanzraum“ für die freiheitlichen Visionen der Bürgerinnen und Bürger in der DDR.
Was sagt die Bibel zur Demokratie?
Dass der Mensch Würde besitzt, das beschreibt die Bibel von ihrer ersten Seite bis zur letzten. Am deutlichsten Beschreibt es wahrscheinlich Psalm 8: „Du (Gott) hast den Menschen wenig niedriger gemacht als Gott“. Die Ebenbildlichkeit Gottes verleiht jedem Menschen eine einzigartige Würde, unabhängig von Leistung, Geschlecht, Herkunft (Genesis 1,26-27). Die jüdische Nächstenliebe ist ein Ausdruck der Würde (Levitikus 19,18). Die Wertschätzung von Jesus für die Schwachen ist ein Ausdruck der Würde des Menschen (Matthäus 25,40). Paulus unterstreicht in seinen Briefen die Würde aller Menschen vor Gott (Galater 3,28). Wer Menschen mit ihrer unbedingten Würde wahrnimmt, nimmt sie als Wesen wahr, die grundsätzlich dazu fähig sind, Gutes zu schaffen und Verantwortung zu übernehmen – für das Gemeinwohl und für die Welt. Freilich beschreibt die Bibel auch sehr anschaulich, dass der Mensch immer wieder Fehler macht und auf Gnade angewiesen ist.
Demokratie kein biblisches Wort
Die Wörter „Menschenwürde“ und „Demokratie“ sind moderne Wortschöpfungen. In der Bibel kommen sie so nicht vor, denn die biblischen Texte sind mindestens 2000 Jahre alt. Die Bibel bietet aber Ansätze, die mit demokratischen Prinzipien wie Teilhabe, Gleichheit und Gerechtigkeit übereinstimmen. Mose zum Beispiel delegierte Verantwortung an Älteste (Exodus 18,13ff.; Numeri 11,16f.). Die Bibel kennt das „Priestertum aller Glaubenden“ (Exodus 19,5f.). Mose beteiligt sein Volk auch an der Auswahl von Richtern (Deuteronomium 1,9ff.). Die christliche Urgemeinde in Jerusalem bestimmte Matthias zum Nachfolger des Jüngers Judas durch eine Mischung aus Mitbestimmung und göttlicher Führung (Apostelgeschichte 1,15ff.) Die Gemeinde wählte auch sieben Diakone, um die Versorgung der Bedürftigen zu organisieren (Apostelschichte 6). Der Apostel Paulus beschreibt vielfach, wie die Gleichheit der Menschen „in Christus“ Unterschiede wie Herkunft, Geschlecht oder sozialem Stand bedeutungslos macht (Galater 3,28). All diese Ideen haben in der westlichen Welt zur Entwicklung moderner Demokratien und zur Formulierung der Menschenrechtserklärung beigetragen, insbesondere durch den Einfluss jüdischer und christlicher Ethik.
Kirche und Demokratie heute
Im vergangenen Jahr feierten wir „75 Jahre Grundgesetz“ – auch mit Gottesdiensten und Konzerten in Kirchen, auch hier bei uns in Kreuzberg. Demokratie, Menschenwürde und Kirche bilden heute eine Einheit. Aus aktuellem Anlass ruft die EKD zur Stärkung der Demokratie auf. In sieben Thesen beschreibt sie auf ihrer Internetseite, warum sich evangelische Christinnen und Christen aus ihrem Glauben heraus leidenschaftlich und streitbar für die Bewahrung der Demokratie einsetzen müssen. Denn die Würde des Menschen, soziale Teilhabe, Bildung für alle, freie Meinungsäußerung und freie Ausübung des Glaubens sind auch Grundgedanken der reformatorischen Bewegung. Daher ruft sie uns alle auf: Setzt in ein Zeichen für Demokratie und Menschenwürde! Macht Gebrauch von eurem demokratischen Recht und von eurer Pflicht als mündige Bürgerinnen und Bürger und als freie Christenmenschen: Geht am 23. Februar wählen!
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